Der Ersatzgrieche und sein Griechneland


Jeden Montag möchte ich dir auf meinem Blog von Griechenland und seiner Kultur erzählen. Nicht ohne Grund habe ich schließlich von meinen Kollegen auf Funk auch den Titel des „Ersatzgriechen“ bekommen, denn ich liebe dieses Land und so hat eine gute Freundin bei dieser Bezeichnung auch gleich protestiert. Wie sagte sie doch zu mir. „Aber Yannis, du bist doch kein Ersatz-, du bist der Grieche“. Was für ein schönes Kompliment. Ähnlich drückte es vor vielen Jahren schon meine griechische in Athen Cousine aus. Sie nahm mich in den Arm und meinte, ich sei mehr Grieche als so mancher Hellene selbst. Ein Ritterschlag, zumindest für mich.

Aber woher kommt diese, so enorme Begeisterung und diese große Liebe für ein Land, das ich seit Jahren schon nicht mehr besucht habe und, dass ich dennoch ganz tief in meinem Herzen tragen?

Wahrscheinlich ist es die Erinnerung und das Denken zurück an eine Zeit, die mich wahnsinnig geprägt und mich zu dem gemacht hat, was ich heute bin.

Griechenland, das ist für viele heute nur noch einen Katzensprung entfernt. Rein in den Flieger und ab an den Strand. Für mich war und ist es aber das andere Ende von Europa und das Tor zum Orient. Wir flogen nicht in die Heimat meines Vaters, wir fuhren mit dem Auto dort hin und diese lange Reise machte einem deutlich, wie weit entfernt dieses Land doch in Wirklichkeit von Deutschland war. Es ging quer durch Österreich und das unendlich wirkende Jugoslawien, mit Menschen, die wir nicht verstanden, und einer Kultur, die uns fremd war. Wir waren drei lange Tage unterwegs und wenn wir dann endlich das Haus meiner Oma erreichten, in einem kleinen Ferienort, 30 Kilometer vor Athen, waren wir urplötzlich in einer ganz anderen Welt und doch wieder nur daheim.



Die Straße, in der unsere griechische Familie lebte, war klein, sandig und staubig. Aber jeder kannte hier jeden und von der Gartentür aus, brauchte man sich nur nach links drehen, schon konnte man das Meer sehen.

Direkt neben meiner Oma wohnte ein alter, äußerst ruhiger und stiller, kleiner Mann. Er hieß Stefanos und hatte irgendwann einmal seinen Sohn bei einem Autounfall verloren. In seinem Garten hatte er deshalb eine kleine Kirche für ihn errichtet. Mehrfach am Tag verschwand er nun in dieser, um so seinem Kind nahe zu sein. 

Ganz anders verhielten sich da die Nachbarn auf der anderen Seite des Hauses. Man hörte sie permanent reden und laut lachen. „Frau Maro“ war etwas jünger als meine Oma, aber eine wirklich lustige Frau. Mindestens einmal am Tag sprach sie mit ihr und das immer von Haus zu Haus und  derart laut, dass sie die halbe Straße dabei hören konnte. Ihr Mann war ein Grieche mit türkischen Wurzeln und wurde des Morgens von meinem Onkel auf Türkisch begrüßt. Das, dass etwas ganz Besonderes war, sollte ich erst Jahre später verstehen und davon werde ich dir sicherlich auch noch ausführlich erzählen.

Einige Häuser weiter jedenfalls, lebte Frau Niki. Sie hatte früh ihren Mann verloren und jeden Abend fanden sich nun irgendwelche Nachbarn bei ihr zum gemeinsamen Kartenspielen ein, darunter auch mein Onkel, der sehr zum Ärger meiner Tante, gerne auch mal nur im Schlafanzug bei mir einmarschierte. Es war ein Bild für die Götter, dass es so in Deutschland bestimmt nicht gegeben hätte.

Das Beste war allerdings, das in fast allen Häusern permanent das Radio spielte und nahezu überall parallel auch der Fernseher dazu lief. So brabbelte und redete gefühlt alles durcheinander. Aber auf diese Art und Weise hatte man immer auch Musik. Nur kam die dann nicht aus Amerika oder England, sondern – wie sollte es anders sein – aus Griechenland und das fand ich, im Gegensatz zu meiner Mutter, einfach nur toll. Ich liebte den Klang der Bouzouki und die nicht selten äußerst orientalisch anmutenden Melodien, was sich bis heute auch nicht geändert hat. Meine Mutter fand sie furchtbar. Ich sang sogar mit, ohne auch nur ein einziges Wort zu verstehen, was wiederum die halbe Straße stolz auf mich machte, denn wer konnte schon sonst von sich behaupten, ein blondes Kind aus Deutschland auf seiner Terrasse zu haben, das dort furchtbar schief und völlig falsch auch noch in einer ihm fremden Sprache sang. Es war herrlich.



Kai mazi kai monos - Griechische Musik aus den 80er Jahren
Eines meiner Lieblingslieder damals!


Alles war hier irgendwie so anders, so frei, so offen und doch für alle auch so völlig normal. Ich konnte also gar nicht anders, als mich hier wohl zu fühlen und die Zeit in „Loutsa“zu lieben. 

Stressig wurde es nur, wenn es plötzlich hieß, meine Mama wolle in Bremerhaven und bei ihrer Mutter anrufen. Ein Telefon hatte hier nämlich niemand. Also fuhr man irgendwo in einen nahegelegenen Kiosk, um von dort aus nach Deutschland zu telefonieren. Ein Drama der ganz besonderen Art, denn nur weil es dort einen Fernsprecher gab, bedeutet dieses noch lange nicht, dass man nun auch eine freie Leitung und eine Verbindung nach Deutschland bekam. So stand man bisweilen über Stunden in diesem Kiosk, beobachtet und begleitet von der kompletten Familie. Ja und in solchen Momenten wurde dann auch mir klar: Zuhause, das ist ganz weit weg.

Aber meine Familie war irgendwie großartig darin, selbst die unmöglichsten Dinge möglich werden zu lassen. Das beste Beispiel dafür war der 21. Juni 1988. An diesem Tag spielte Deutschland bei der Fußball-EM im eigenen Land gegen die Niederlande und allen war klar, dieses historische Match wird geschaut, komme, was da wolle. Also saß man kurz vor Anpfiff gemeinsam auf der Terrasse, nur um dort dann festzustellen, dass der Fernseher spinnt. Der ohnehin viel zu kleine Flimmerkasten zeigte alles, nur kein Bild und mein Onkel schimpfte wie ein Rohrspatz.

Nach und nach tauchten nun die verschiedensten Nachbarn auf, um vermeidlich zu helfen, und so standen am Ende gefühlt fünf oder mehr Männer um die Antenne herum verteilt, nur um zu erklären, dass der Fernseher wohl kaputt sei. Also musste nun umgeplant werden. Die neue Idee: Wenn wir nicht daheim schauen können, dann in einer der vielen Tavernen unten in der Stadt. Den Blick meiner Mutter sehe ich noch heute vor mir. Ausgerechnet an diesem Abend regnete es nämlich wie aus Kübeln, aber das war der griechischen Familie völlig egal. In einem Tempo, was Griechenland nie zuvor erlebt hatte, warf sich alles kurzer Hand in Schale und ab ging´s. 

Nun fuhr man durch den Ort, bis man irgendwo eine Taverne mit einem Fernseher entdeckte, auch wenn der nur ausgeschaltet und lieblos in der Ecke stand. Dort hielt man und der Kellner freute sich, uns als Gäste zu begrüßen. Wie in Griechenland üblich zählte er artig und brav auf, was man Essen bestellen konnte: „Kotelett, Souvlaki, Bifteki, Lamm im Backofen“, doch weiter kam er nicht, denn mein Vater fuhr ihm recht unhöflich ins Wort, dass man vor dem Essen einen Fernseher bräuchte und man die EM schauen wolle. Also wurde kurzer Hand der Fernseher, vom Tresen und aus der Ecke, zu uns an den Tisch gebracht und wir konnten das wunderbare Fußballspiel schauen, was inzwischen allerdings  längst zu Ende war.

Solche Geschichten vergisst man nicht und das echte Griechenland, das, was ich erlebt habe, was in meinem Herzen brennt und für das ich bereit wäre, mein letztes Hemd zu geben, das hat mir derart magische Dinge gezeigt, dass es mich wirklich unendlich glücklich und auch stolz macht, dir von ihnen zu erzählen zu können. Lass dich überraschen, von einem Land, was viel mehr als nur Gyros, Feta und Ouzo ist. Erlebe mit mir gemeinsam das „wahre Griechenland“, in dem der Glaube, die Familie, die Musik und auch die Erotik einen ganz besonderen Stellenwert einnehmen.

Ich zeige dir Griechenland so, wie du es vermutlich nie vorher kanntest und es dir nicht einmal erahnt hast. Ich freue mich darauf. Immer montags, hier auf diesem Blog

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