Die Wahl in der Türkei

 


Jeden Samstag wird es journalistisch auf meinem Blog, denn dann geht es, um das für mich, wichtigste Pressethema der vergangenen Woche. An diesem 3. Juni habe ich mich dabei für das Folgende entschieden:


Die Wahl in der Türkei


Präsident Erdogan hat sie für sich entschieden und Bundeskanzler, Olaf Scholz hat ihm, wie es sich diplomatisch gehört, zu seinem Sieg gratuliert und dabei gleich noch einmal die so festen und wichtigen „deutsch-türkischen Beziehungen“ betont. Damit könnte die Geschichte eigentlich schon zu Ende sein, doch mich bewegen in diesem Zusammenhang viel mehr die Randereignisse der Wahl, als das eigentliche Endergebnis selbst, denn wer dort genau hingeschaut hat, der musste und konnte nicht nur einmal staunen.

Der Urnengang am Bosporus hat nicht nur die Türken selbst emotional sehr berührt, er hat auch die deutsche Politik auf den Plan gerufen und scheinbar nervös gemacht. So haben sich verschiedenste Abgeordnete im Vorfeld klar positioniert und auch gegenüber der Presse äußerst freizügig geäußert. Cem Özdemir von den Grünen wendete sich gar in einer Videobotschaft an seine Landsleute, um ihnen zu erklären, wie wichtig und von welch hoher Bedeutung ihre Stimme sei. Die Frage ist nur, ist sowas überhaupt legitim? Steht es uns zu, derart in einen fremden Wahlkampf einzugreifen und Menschen eines unabhängigen, souveränen Staates, auf diese Art und Weise beeinflussen zu wollen? Ich persönlich tue mich schwer damit und habe da so meine Bedenken, das sage ich ganz offen.

Dann, große Verwunderung, viele Stimmen für den Wahlsieger kommen ausgerechnet aus Deutschland. Wie kann das sein? Wieso dürfen überhaupt Türken, die gar nicht in ihrer Heimat leben, darüber mitentscheiden, wer in dieser regiert und dort das Sagen hat? 

Ist es möglich, so frage ich mich, dass Türken, selbst jene jüngerer Generation, viel fester mit dem Land ihrer Vorfahren verbunden sind, als wir es glauben und uns vorstellen wollten? Und ist ihr Empfinden von „Zugehörigkeit“ und „Heimat“ möglicherweise ein ganz anderes, als das, was wir haben und für uns als solches definieren?

Mein Vater wurde 1933 in Athen geboren. Seit 1959 lebte er allerdings in Deutschland. Hier starb er 2012. Bis zu seinem Tod hatte er zwei Staatsangehörigkeiten. Er wohnte mit meiner Mutter in Bremerhaven, wo er sich sehr wohl und äußerst behütet fühlte. In seinem Herzen aber war immer nur Grieche.

Und wie es mit mir? Ein Blick in den Spiegel lässt vermuten, dass ich aus dem hohen Norden komme, nicht aber, dass bestimmte Wurzeln von mir auch im Hellenischen liegen. Trotzdem liebe ich die griechische Kultur, ihre Musik, die so wunderbare Küche und auch ihre Mentalität. Ich bin stolz und dankbar, durch mein Vater etwas Griechisches in mir zu haben. Soll heißen, auch ich habe schon ein etwas „anderes“ Empfinden von Heimatliebe, als es das, die meisten von uns haben.

Für mein Vater stand früh fest, dass er in Deutschland bleiben würde. Immerhin hatte er sich hier in eine deutsche Frau verliebt, Arbeit gefunden und war auch von seinem Umfeld voll akzeptiert und integriert. Nur ging und geht das allen so? Haben wir nicht vielen Ausländern das Gefühl gegeben und ihnen gegenüber immer wieder betont, dass sie nur „Gäste“ sind?

Hast du schon einmal ganz in Ruhe das Wort „Gastarbeiter“ auf dich wirken lassen? Für mich (und ich denke, ich bin nicht alleine damit) ist es ein absolutes Paradoxon, besonders wenn man südländisch denkt. 

Wofür stehen Italiener, Spanier, Griechen und auch Türken? Woran machen wir sie fest? Doch sicher zu einem wichtigen und bedeutenden Teil an ihrer so ganz großen und ganz eigenen Gastfreundschaft. Am Mittelmeer bliebt niemand allein, sondern man wird ganz automatisch zu einem Teil der Gesellschaft. Am besten sichtbar und zu fühlen ist das in kleineren Ortschaften und auf den Inseln. Wenn du auf Kreta an einer Hochzeit vorbeikommst, dann hast du mitzufeiern und dabei zu sein! Gäste sind hier etwas ganz besonderes und Menschen, die es von Haus aus gilt, zu verwöhnen. Ja und was machen wir? Wir lassen unsere Gäste, zumindest dem Wort nach, eifach nur arbeiten. 

Wenn wir uns also wundern und fragen, warum Türken mit ihrer Heimat derart verwurzelt sind, könnte die Antwort darauf sein, dass wir es über viele Jahre verpasst haben, sie wirklich von uns und unserem Land zu überzeugen. Wir mussten es ja auch nicht, denn wir waren der Meinung, dass sie sowieso irgendwann wieder gehen würden. 

Man kann  darüber diskutieren, ob Ausländer in Deutschland ein Wahlrecht in ihrer Heimat haben sollten, nur wenn wir es tun, sollten wir uns auch ehrlich machen und darüber nachdenken, was die Alternative dazu ist und ob es seine solche überhaupt gibt. 

Die Wahl in der Türkei zeigt jedenfalls für mich, dass es vieles gibt, worüber wir reden sollten und das völlig unabhängig davon, wie der gewählte Präsident dort eigentlich heißt und wofür er steht.

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