Die Insel Tinos

Am letzten Montag habe ich zum ersten Mal eine sehr persönliche Erinnerung mit euch geteilt und auch heute, möchte ich euch wieder einladen, mir in die Vergangenheit und auf eine ganz besondere, griechische Insel zu folgen. 

Kommt ihr mit? Dann los ...


Es ist ein Sommer in den späten 80er Jahren, als bei unserem Besuch in Griechenland urplötzlich die Frage auftaucht, ob mein Vater nicht mal auf die Insel Tinos wolle, immerhin sei das mindestens einmal im Leben für einen gläubigen Griechen "Pflicht" und mein Papa ist gläubig, sehr sogar.

Tinos, das ist eine kleine Insel in den Kykladen, auf der nicht einmal 10.000 Menschen wohnen. Aber, so erklärt man uns, dort befindet sich auch die wichtigste, orthodoxe Kirche. Also machen wir uns auf.

Von Rafina aus, das liegt etwa 30 Kilometer von Athen entfernt, setzen verschiedene Fähren gleich mehrfach am Tag nach Tinos über. Die Fahrt dauert (je nach Schiff) gute drei Stunden und ist, wenn ich ehrlich bin und ich mich noch recht entsinnen kann, auch nur mässig spannend. Gefühlt sieht man nur das weite Meer und irgendwelche langweiligen Felsen. Touristen sind aber dennoch einige an Bord, den direkt neben Tinos liegt das berühmte "Mykonos", was im Sommer als die Partymeile der Griechen gilt. Hier legen die bekanntesten DJ´s auf und es wird gefeiert, als gäbe es keinen Morgen mehr. Hach, was würde meine Mutter das doch mal gerne sehen und erleben. Aber mein Vater lehnt ab. Das ist was "für junge Leute", sagt er.

Zurück zur Fähre:

Ihr erster Halt ist Andros, ein verschlafenes Eiland, das ebenfalls zu den Kykladen gehört, bei Touristen aber kaum bekannt ist und auch sonst nicht zu den hellenischen Highlights zählt. Wenig später ist dann r auch schon Tinos erreicht, was recht ähnlich aussieht, allerdings einen bedeutenden Unterschied aufweist. Auf einem Hügel gelegen, thront mächtig und gewaltig nämlich, über dem Hafen, dort eine riesige und große Kirche. Die „Evangelistria von Tinos“ und genau sie wolle wir am nächsten Tag besuchen.

Am Abend sitzen wir zusammen in einer kleinen Taverne und beim Essen, erklärt meine Tante dann endlich auch etwas genauer, was es mit dieser auf sich hat.

Schon seit vielen, vielen Jahren gibt es auf Tinos ein Kloster. In diesem wohnt und lebt im Jahre 1823 eine Nonne mit dem Namen Pelagia und der erscheint im Traum mehrfach die Jungfrau Maria oder wie die Griechen es zu sagen pflegen, die „Heillige Mutter Gottes“. Diese berichtet ihr von einer geheimen Ikone, die genau an dem Ort gefunden wird, an dem heute die riesige Kirche steht. Ihr werden mehrere Wunder und Heilungen nachgesagt, so dass das Gotteshaus bis zum heutigen Tage der wichtigste Ort für griechisch-orthodoxe Christen ist. So die Kurzform einer äußerst spannenden und mystischen Geschichte, rund um die bedeutenste, griechische Ikone.

Tinos wird seither über das gesamte Jahr von Pilgern heimgesucht und wer ernsthaft glaubt, der kommt mindestens einmal in seinem Leben hierher, um eine Kerze zu entzünden, zu beten und vor die Ikone zu treten.

Meine Mutter respektiert das, kann mit all dem aber nur wenig anfangen. Sie ist bei den Baptisten daheim, also in einer evangelischen Freikirche und da ticken die Uhren doch etwas anders als hier. In einer Kirche eine Kerze anzünden, das ist kein Problem für sie, aber bei Weihrauch, Ikonen und vermeidlichen Wunder, da ist sie dann doch, lieber raus. Auch wenn meine Oma ihr erzählt, dass sie selbst ein solches mal erlebt und gesehen hat. Damals war sie auf der Insel Tinos und in die Kirche kam ein junges Mädchen, dass in Ketten gelegt war. Sie schimpfte und schrie, war völlig von Sinnen und keiner konnte sie bändigen, bis man sie an die Ikone führte. Mein Vater glaubt das natürlich, der Rest der Familie auch, aber meine Mutter ist und bleibt skeptisch.

Das dürft ihr natürlich auch, aber weiter.

Am nächsten Morgen geht es los. Unmittelbar nach dem Frühstück machen wir uns zu Fuß auf den Weg. Vom Hafen aus führt eine lange, breite und damals noch äußerst steinige Straße hinauf zur Kirche. Kleine Souvenirläden und Postkartenshops laden hier zum verweilen und bummeln ein. Doch umso höher und näher man an die Kirche kommt, desto religiöser werden all die angebotenen Waren und Produkte.

Auf unserem Marsch spielen sich vor unseren Augen plötzlich völlig unerwartete und äußerst ergreifende Szene ab. So sehen wir eine alte Frau, die zur Kirche hinaufschaut, sich bekreuzigt und Handtücher um ihre Kniegelenke legt. Sie sackt zu Boden, betet kurz und kriecht dann auf allen Vieren los. „Ihre Demut verbietet es ihr zu laufen“, erklärt uns meine Tante und auch eine junge Dame, komplett in Schwarz gekleidet, macht sich auf diese Weise auf den Weg nach oben. Möglicherweise ist sie gerade Witwe geworden, aber das können wir nur vermuten.

Als wir das Tor zur Kirche erreicht haben, auch daran erinnere ich mich noch genau, dreht meine Mutter sich noch eimal um. Sie blickt zurück auf den Hafen und in die lange Straße, auf der nun Dutzende Menschen kriechen oder beten. „Wie stark dieser Glaube ist“, murmelt sie und man merkt, sie ist von dem was sie da sieht, wirklich tief ergriffen und bewegt. Ich bin es übrigens auch.

Bevor es nun noch die letzte Treppe herauf und in die Kirche hinein geht, stehen wir auf einem großen Vorplatz. Hier hausen im Schatten, die Ärmsten der Armen, Kranke und Schwache. Sie werden von Nonnen gepflegt und versorgt. Auch das lässt meine Eltern und mich immer stiller und andächtiger werden, denn das was wir hier erleben, das ist wirklich gelebte Nächstenliebe und urplötzlich, kommst du dir auch als Kind in deinem Reichtum unglaublich schlecht und irgendwie doof vor.

Kurz vor der Tür zur Kirche kauert ein Mann auf dem Boden. Auch ihn sehe ich noch vor mir, als sei all das gerade erst gestern gewesen. Er bekreuzigt sich und weint, denn er hat den langen Weg hinauf und hierher geschafft, vermutlich ebenfalls auf allen Vieren.

Im Inneren der Kirche ist es wahnsinnig dunkel. Es riecht nach Weihrauch und man hört von irgendwo her einen leisen, orthodoxen Gesang. An den Wänden hängen Ikonen und überall brennen Kerzen. An den Decken befinden sich seltsame Figuren aus Silber, darunter Menschen, Boote, Tiere. „Das sind Zeichen für all die Wunder, die mit dieser Kirche verbunden sind“, erklärt uns ein Priester, der zur Überraschung meiner Mutter auch sehr gut deutsch spricht. Er führt uns ein Stück durch die Kirche und dann stehen wir vor der heiligsten Ikone Griechenlands. Zu erkennen ist sie allerdings nicht mehr. Sie ist mit Schmuck, Ketten und Edelsteinen bedeckt. Mein Vater ist tief ergriffen, dieses Heiligtum zu sehen und im Laufen die Tränen. Lange verweilt er hier und in dieser Kirche. Als wir rausgehen, drückt der Priester meiner Mama ein kleines Büchlein in englischer und deutscher Sprache in die Hand. Es erklärt lange und ausführlich, wie es zu der so großen Kirche hier auf Tinos kam und meine Mutter fängt noch am gleichen Tag an es zu lesen. Besonders ein Satz fasziniert sie dabei sehr:

„Früher wurden wichtige Schriftstücke nur von Männern verfasst und Frauen hatten kaum Rechte. Wir aber glauben daran, dass auch die "Heilige Mutter Gottes" Ehre verdient, denn welches Kind liebt sie nicht, die eigene  Mutter“.


Wow, das sitzt und das lässt meine Mama die orthodoxe Kirche mit völlig neuen Augen sehen.

Da kann man sich jetzt natürlich fragen, warum ich an diesem Montag gerade diese Erinnerung gewählt habe und weshalb ich sie ausgerechnet heute mit euch teilen will! 

Nun, durch meine Eltern habe ich zwei ganz unterschiedliche, religiöse Denkweisen kennengelernt und beide schließen sich für mich absolut nicht aus. Ganz im Gegenteil. Außerdem habe ich auf Tinos etwas gesehen und erlebt, was mich bis heute fasziniert, nämlich einen wirklich starken und festen Glauben, von Menschen die ihre Kirche(n) wirklich lieben und brauchen. Wer einmal in Griechenland Ostern gefeiert hat, der weiß wovon ich hier rede und spreche. Ja und zuletzt, ist morgen der 15. August, „Mariä Himmelfahrt“, einer der größten Feiertage in Griechenland. Im Fernsehen werden über Stunden Gottesdienste übertragen, allen voran auf dem ersten Programm (ERT 1), denn dieser dort kommt direkt von der Insel Tinos. Hier wird nach der heiligen Liturgie die Ikone durch Marinesoldaten aus der Kirche genommen und auf Holz hinunter zum Hafen getragen. Die von mir erwähnte Straße ist dabei mit Menschen gefüllt und es gilt als heilig, wenn die Ikone über sie herüber geführt wird.

Soweit meine Erinnerung für heute. Und bevor das nun jemand mißversteht oder falsch deutet. Es geht mir bei diesem Artikel nicht um Werbung für die Kirche, die griechische-Orthodoxie oder was auch immer. Es geht um Griechenland, um Tinos, um Erinnerungen und um einen Teil von mir, der mir wirklich wichtig ist.

In diesem Sinne, habt einen schönen und friedvollen Tag.



Der Kirchenvorplatz der Evangelistria




Die Kirche bei Tag




Die Kirche bei Nacht



Die Straße hinauf zur Kirche








Kommentare

  1. Lieber Giannis,

    was für eine schöne Erinnerung, man spürt wie sehr sie dich noch heute berührt. Und keine Angst, es kam nicht als Werbung rüber, an das hab ich gar nicht gedacht, es ist ein Teil aus deinem Leben an dem du uns lieber weise hast teilhaben lassen und das ist schön und dafür bin ich dankbar!

    Ah, übrigens der Spruch deines Vaters, "Das ist nur was für junge Leute", hätte zu keinem Zeitpunkt zu mir gepasst, auch als junge Frau konnte ich mit diesem Partyleben nichts anfangen, und sind wir ehrlich, das hat auch mit dem Alter nichts zu tun. Aber ich musste schmuntzeln, denn meist sind solche Aussagen nur Ausreden um sich vor eine Situation zu drücken die einem nicht geheuer ist 🤭

    Schöne Kirche übrigens!

    Liebe Grüsse
    Alexandra

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    1. Guten Abend liebe Alexandra,

      vielen Dank für deine lieben Worte. Du hast Recht, mich hat Tinos damals wirklich tief beeindruckt und das tut es auch heute noch. Es ist ein großer Unterschied, ob dir jemand vom Glauben erzählt oder du vor deinen eigenen Augen siehst, dass er gelebt wir und mit welchem Schmerz!

      Auch das Umdenken meiner Mutter hat mich überwältigt.

      Und ja, Mykonos ist schon ein spezielles Örtchen bei den griechischen Inseln. Da geht wirklich "die Luzi ab" und ich denke, du vermutest ganz richtig, meinem Vater war das nicht unbedingt geheuer.

      Die Kirche ist in der Tat sehr schön!

      Vielen Dank für deinen lieben Kommentar.

      Ganz liebe Grüße

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  2. Sehr beeindruckend. Ich glaube, ich habe vor ewigen Zeiten mal einen Bericht darüber gesehen, lief irgendwann mal im Dritten. Da wurde nicht nur die Geschichte erzählt, auch kamen die Menschen zu Wort, die direkt im Umfeld damit zu tun haben. Mir ist am meisten der Kerzenzieher in Erinnerung geblieben. Auch wenn ich nicht gläubig bin, so respektiere ich den Glauben und die Ausübung dessen von anderen Menschen.

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    1. Hallo Birgit. Du hast Recht, es ist beeindruckend und ja, die Dokumentation kenne ich. Der Kerzenzieher produziert vor August so viele Kerzen, aber ich finde gut, sie schmelzen sie auch wieder ein und ziehen sie neu, das ist schon sehr löblich, würde ich meinen.

      Und ja, man muss einen Glauben nicht teilen, berühren kann er aber trotzdem.

      Vielen Dank für deine lieben Worte!

      Herzliche Grüße

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