Begegnungen



An diesem Mittwoch geht es zum zweiten Mal um Begegnungen und damit um Menschen, die ich in meinem Leben niemals vergessen werde. Einige von ihnen haben für mich Namen, andere nicht. Aber lest selbst.


Nach einer kurzen und privaten Pause am Dienstag, geht es heute auf meinem Blog wieder einmal um Begegnungen, denn sie sind es, die unser Leben ausmachen und die uns prägen, positiv wie negativ. Ja und da euch das neue Thema beim letzten Mal so gut gefallen hat, geht es dann heute direkt weiter damit.


Der kleine Herr Schött


Herr Schött war kleiner, unscheinbarer Mann, dem, wenn man ihn genauer ansah, irgendwie der Hals zu fehlen schien. Er war lustig, hatte einen tollen Humor, gab sich immer fröhlich und er unterrichtete mich im Spielen des Akkordeons. Das Faszinierte dabei war, dass mit seiner kleinen Gestalt, kaum in der Lage war, über das große und schwere Musikinstrument hinwegzuschauen und auch wenn er von seinem Auftreten her immer eine gewisse Frechheit auf den Lippen hatte, beim Spielen des Akkordeons zeigte er sich plötzlich von einer ganz anderen Seite. Er hatte so viel Gefühl in seinen Fingern und im Umgang mit dem Schifferklavier, dass man nur staunen konnte.

Mich lehrte das früh zu verstehen, dass man einen Menschen niemals nur nach seinem Äußeren bewerten durfte und das habe ich mir bis heute auch so erhalten.


Die jugoslawischen Kinder


Wenn wir alljährlich im Sommer in die Heimat meines Vaters reisten und auf dem Weg dorthin nach Jugoslawien kamen, war die Stimmung bei uns im Auto fast immer angespannt. Meine Eltern hatten einen wahnsinnigen Respekt vor dem damals so fremden und kommunistischen Land. Man musste unheimlich wachsam sein, weil permanent die Gefahr bestand, dass irgendwas passieren konnte und man sich nicht ausmalen wollte, ausgerechnet hier eine Panne zu haben. 

Das Spannende an Jugoslawien war, dass es dort teilweise hochmoderne Autobahnen gab und dann wieder Strecken, die überhaupt nicht ausgebaut waren. In Zagreb oder Belgrad fuhr man so bisweilen sogar direkt durch die Stadt und wenn man hier an einer roten Ampel hielt, strömten wie aus einem Versteck kommend direkt Kinder auf unser Auto zu. Sie hatten Lappen und Eimer in der Hand, wollten unserer Scheiben putzen und hofften als Dankeschön auf ein kleines Glück, das aus einigen Pfennigen bestand. Wie froh sie waren, wenn sie etwas bekamen. 

Mich hat das früh begreifen lassen, dass Reichtum immer nur eine Frage der eigenen Definition war. Ich war stolz und fühlte mich cool, wenn ich zum Geburtstag von meiner Oma 50 oder gar 100 DM bekam. Die Kinder hier aber, die waren schon Könige, wenn sie ein paar glitzernde Pfennige in der Hand hielten. So unterschiedlich konnte die Welt sein.


Der Mann am Autoput


Jugoslawien war in vielerlei Hinsicht prägend für mich, denn viele Dinge waren hier einfach komplett anders als bei uns. Man sah Autos im Straßengraben, die ausgebrannt oder einfach verlassen waren. Man hatte beim Tanken immer das Gefühl, von allen Seiten beobachtet und gemustert zu werden. Es war schon fremd und seltsam, denn man sah nie Menschen wirklich lachen oder auch nur fröhlich miteinander reden.
 
Und dann gab es da mitten auf der Straße diese riesigen Mautstellen mit den enorm hohen Geldbeträgen, die zu zahlen und im Grunde doch nichts wert waren. Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang, besonders an eine Begebenheit.

Wir waren auf der Autobahn zwischen Belgrad und Nis unterwegs, als uns wieder einmal eine dieser Mautanlagen angezeigt wurden. Sie hießen hier "Autoputs" und man musste an einem Kassenhäuschen eine bestimmte Gebühr entrichten, um weiterfahren zu können. Verlangt wurde etwa 70.000 Dinare und meine Mama zählte mühsam auf ihrem Sitz das Geld ab, als mein Vater die Kasse erreichte. Dort saß ein junger Mann, mit blonden Haaren und einem hellblauen Shirt. Ich sehe ihn noch heute vor mir und dieser Typ tat etwas, was ich hier nicht nie erlebt und gesehen hatte, er lächelte uns an. Er schaute zu uns in den Wagen und als mein Vater versuchte ihm das Geld zu reichen, winkte er ab: "Nein, hast du kein Bier?", fragte er. Mein Vater schüttelte den Kopf. "Ich habe kein Bier", sagte er, "nur Coca-Cola". Der Mann schaute meinen Papa an und seine Augen funkelten. "Du hast echte Coca-Cola? Kann ich mal probieren?". Mein Vater lachte. Meine Mama schnallte sich ab, holte aus dem Kofferraum eine Dose hervor und mein Papa reichte diese dem Mann am Autoput. "Gute Fahrt", sagte er und dann durften wir einfach weiterfahren. 

Was für uns selbstverständlich ist, das ist es für Andere noch lange nicht! 




Herr Herboldt


Herr Herboldt war ein alter Mann mit einer künstlichen Hüfte. Er humpelte beim Laufen und seine Finger zitterten. Aber sein Auftreten war immer edel und gepflegt. Er trug nur Anzüge und er war mein Lehrer im Fach "Wirtschaft" während meines Abiturs. Ich hatte Ökonomie als Leistungskurs belegt und Herr Herbodt hatte wirklich ein großartiges Wissen. Allerdings erreichte er mit diesem nicht alle meiner Mitschüler, denn er hatte eine doch sehr spezielle Art, seinen Unterricht vorzutragen. Meist las er einfach nur aus einem Buch vor und wir diskutierten dann hinterher über das Gehörte. Klausuren beim ihm waren immer in Aufsatzform zu schreiben und er legte großen Wert auf eine gewisse Ausführlichkeit. Er erzählte uns von Adam Smith und von "Kudel", wobei "Kudel", seine Bezeichnung für Karl Marx war. Einfach wunderbar. 

Ja und dann kam diese eine Klausur, in der es um die "Unsichtbare Hand" ging. Wir sollten "kritisch würdigend" zu ihr Stellung nehmen und irgendwie war die Rückgabe dieser Klassenarbeit eine einzige Katastrophe. "Viel geschrieben haben Sie nicht", bewertete er die Leistung einer Mitschülerin, "und das Wenige, was Sie zu Papier gebracht haben, ist auch noch falsch, 03 Punkte!". Ein anderer bekam seine Prüfung mit den Worten zurück. "Sie schreiben viel, nur ist das Meiste davon völlig falsch und das Wenige, was richtig ist, tragen Sie derart langweilig vor, dass man mit Mühe noch 05 Punkte geben kann!".

Wow, ich sank auf meinem Stuhl immer mehr innerlich zusammen, denn ich wusste, irgendwann bin ich dann dran und dann geht es auch mir auf diese Weise an den Kragen. "Johannes", sagte Herr Herbolbt mit leiser und ernster Stimme, "wenn ich ihre Klassenarbeiten lese, denke ich immer, ich habe ein Buch in der Hand. Sie schreiben so bunt und bildlich, machen große und schöne Einleitungen, bringen den Kern ganz wunderbar auf den Punkt. Sie sollten später mal was mit Schreiben machen. 12 Punkte. Ganz toll!" 

Ich erinnere mich noch genau an diesen Morgen. Meine Kameraden haben mich in diesem Moment zwar gehasst, aber ich fand diese Worte derart anerkennend und motivierend, dass ich sie mir lange und bis heute im Herzen bewahrt habe. 

Als ich Jahre später meine Abschlussprüfung an der Journalistenschule schrieb, dachte ich an viele Menschen, besonders an meine Eltern und alle, die mich dabei unterstützt haben, aber auch ganz besonders an Herrn Herboldt und jedes Mal, wenn ich einen Text hier auf meinem Blog verfasse, tue ich es auch, denn solche Begegnungen prägen uns. 


 

Kommentare

  1. Hallo Du!

    Hmmm...leider konnte ich Dich via E-Mail nicht erreichen. Ist die auf diesem Blog hinterlegte E-Mail Adresse ggf. inkorrekt? Ich habe die aus dem Impressum genommen und es kam die Meldung vom Mail Delivery System zurück "unzustellbar".

    Eigentlich wollte ich Dir nur mitteilen, dass ich hier noch reinschauen, aber wohl eher nicht mehr kommentieren werde, da die Themen nicht so die meinen sind. Ich hoffe, Du bist mir nicht böse. Danke!

    Liebe Grüße
    Sandra von Fotolaune.de

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Hallo Sandra,

      sehr schade, aber nachvollziehbar. Ich schreibe leider nicht nur über das Fotografieren. Danke, dass du bisher dabei warst und ich hoffe, du kommst wieder bzw. es ist in Ordnung für dich, wenn ich bei dir weiterschaue und schreibe! Die Geschichte mit der Mail ist seltsam und schaue ich mir an! Liebe Grüße für dich!

      Löschen
  2. Lieber Giannis,

    wow., wieder sehr eindrücklich Begegnungen und ich kann mir die letzte, mit deinem Lehrer so gut vorstellen. der Neid der Klassenkameraden, der da wohl hoch gebrodelt ist, aber sorry für die Wortwahl, scheiss egal, es war nicht nur Balsam für deine Seele sondern auch Motivation für die Zukunft.

    Danke für diese tollen Begegnungen und das wir daran haben teilhaben dürfen.

    Liebe Grüsse und einen wunderbaren Tag.
    Alexandra

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Vielen Dank, liebe Alexandra, schön, dass meine neue Kategorie so gut bei euch und damit auch bei dir ankommt. Das freut mich wirklich. Liebe Grüße.

      Löschen

Kommentar veröffentlichen

Hier ist Platz für deine Meinung. Ich freue mich über jeden Kommentar. Anregungen und Kritik sind ebenfalls willkommen. Sehr gerne darfst du auch deinen eigenen Blog hier vorstellen. Also nur zu, hau in die Tasten und sei dabei!

Beliebte Posts aus diesem Blog

Black & White Oktober 2023

Der ""Freitags-Füller"

Meine Apps