Weihnachten auf hoher See






„Wenn der Ersatzgrieche zweimal schreibt“, klingt wie ein schlechter Western oder ein billiger Heimatfilm, ist in Wahrheit aber nur die Einleitung zu einer persönlichen Erinnerung, die wunderbar zu Weihnachten und dem heutigen, zweiten Advent passt.


Das ist die Geschichte dazu:


Es gibt wahrscheinlich niemanden unter uns, der nicht eine CD, eine Kassette oder gar eine Schallplatte hat, die er mit schönen Erinnerungen an seine Kindheit verbindet.

Wenn ich von Musik erzähle, dann oft von der, meines Vaters, von der Griechischen, die mich als Kind doch so sehr geprägt und beeindruckt hat. Heute, jetzt und hier, ist das, aber nicht der Fall, denn da geht es um eine deutsche Schallplatte der ganz besonderen Art, die wie keine andere für meine Oma, meine Mutter und Bremerhaven stand. Jedes Jahr im Advent wurde sie hervorgeholt und bei meiner Großmutter aufgelegt. Dabei knackte und rauschte sie mit jedem Abspielen etwas mehr. Es war einfach nur herrlich und absolut wunderbar, besonders wenn es dann noch Tee dazu gab und auf dem Tisch ein Räuchermännchen qualmte.

Platten hatten wir viele, aber nicht eine war so wie diese, denn „Weihnachten auf hoher See“ von und mit Freddy Quinn war viel mehr als nur Musik. Es war eine Reise hinaus aufs Meer, meilenweit entfernt von daheim, an einen anderen Ort im Dunkel der Nacht. Man schloss die Augen und hörte auf das Wasser, das monoton und im immer selben Takt gegen den Buck eines Schiffes schlug, dann das zarte Musizieren eines Akkordeons und das Singen eines Männerchors. Von ihren Liebsten und ihren Familien getrennt, feierten Seeleute Weihnachten, geplagt und gequält von einem Heimweh, das in keiner Nacht hätte stärker oder schlimmer sein können.

All das ist heute ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten. Internet und Satellit erlauben Dinge, die vor Jahren noch undenkbar waren, aber damals …

Man lauscht der Melodie von „Leise rieselt der Schnee“ und man hört auf die so eindringliche Stimme von Freddy Quinn, der anfing zu erzählen: „Wieder sind wir auf hoher See. Es ist Weihnachten. Das Meer ist ruhig und still ist die Heilige Nacht. Nur die Sterne begleiten uns. Unter Deck schmücken sie gerade den Weihnachtsbaum. Nur gut, dass wir ihn schon im Oktober mit an Bord genommen haben“, dann erklingt das Lied, „O Tannebaum“.

„Weihnachten auf hoher See“ ist (für mich) das Meisterwerk einer gelungenen Mischung aus Hörspiel und Musikaufnahme. Es entführt den Hörer zurück in eine Zeit, da Trennung, Abschied und Schmerz zum Leben dazu gehörten.

Meine Oma brachte diese Platte Jahr für Jahr zum Weinen. Sie dachte an ihren Bruder, der als junger Soldat während des Krieges auf einem U-Boot diente und der nun in der DDR wohnte, weit weg und von ihr schmerzlich getrennt. Meine Mutter fühlte mit ihr und schenkte ihr jedes Mal in dieser Situation ein Lächeln, als wollte sie sagen, „ich weiß“.

Ja und selbst mein Vater, der stolze Grieche, der nie ein Fan der deutschen Musik war, hielt bei dieser Platte inne. Er verstand jedes Wort, von dem Freddy Quinn erzählte, denn auch er war einst auf ein Schiff gegangen. 1959 war das, im Alter von nicht einmal 30 Jahren und oft hatte auch er gedankenversunken über die Rehling der „MS AKARDIA“ geschaut. Während die Passagiere in den vielen Räumen tanzten und feierten, dachte er nur an seine Mutter, an die ihm geliebte Schwester und an seine Heimat. Athen war so weit weg.

Freddy Quinn erzählt von der Heiligen Nacht, davon, dass sie sich die Menschen wie die Kinder an die Hand fassen, selbst auf dem Schiff, denn niemand kann die Einsamkeit jetzt noch ertragen. Jeder muss dem Anderen etwas Gutes sagen, denn es ist Weihnachten. So leidet man mit, auf diesem großen Schiff, von dem niemand weiß, woher es kommt oder wohin es will.

Laute Musik, kraftvolle Instrumente oder ein ganzes Orchester? Sie allen wären hier fehl am Platze. „Weihnachten auf hoher See“, das sind eine Mundharmonika, mehrere Akkordeons und ein Männerchor, an deren Spitze Freddy Quinn steht, aber nur musikalisch, nicht als Mensch, denn als solcher ist er auf dieser Platte einfach nur einer von ihnen, ein Seemann, der die Heimat vermisst und sich einsam fühlt, unendlich einsam.

Dann, urplötzlich, wie aus dem Nichts, eine Stimme aus dem Funkgerät. Sie ist verrauscht, schlecht zu verstehen, aber doch hörbar: „An alle, an alle, lieben Fahrensleute auf allen Meeren, wir grüßen euch und wünschen euch ein gesegnetes Weihnachtsfest“, ruft da eine Seefunkstation aus Deutschland auf der kurzen Welle. An Bord brechen darauf alle Dämme und es erklingt ein lautes „O du fröhliche“.

Und dann, endlich, kommt das, worauf alle warten. Es sind keine teuren Geschenke, keine riesigen Pakete und keine kostbaren Präsente. Es sind Worte, die unbezahlbar sind und die in diesem Moment so guttun. Es sind die Grüße aus der Heimat, übertragen und gesendet von der damals wichtigsten Funkstelle Deutschlands, von Norddeich Radio. Später werden sie sogar im UKW-Radio übertragen und ausgestrahlt.

„Weihnachten auf hoher See“ ist für mich die Weihnachtsplatte. Es gibt keine schönere, keine bessere und keine bewegendere für mich. Sie bringt mich zurück zu meinen Eltern, sie erinnert mich an meine Oma und lässt mein Funkerherz höher schlagen, denn Norddeich-Radio, das war für uns alle im hohen Norden etwas ganz Besonderes.

Weihnachten ist eben viel mehr als nur ein teures Geschenk unter dem Baum.

Wenn ihr selbst mal in die Platte hineinhören wollt, habe ich sie euch unter diesem Artikel bei Spotify verlinkt. Lasst euch entführen, berühren und einfangen von ihr, Freddy Quinn und einer ganz unbeschreiblichen Stimmung, wie wirklich Gänsehaut macht.

Kommentare

  1. Wow, das ist ein wunderbarer Text! So schön geschrieben mit so viel Hingabe und Herz, ich glaube beim lesen den Abschiedsschmerz gefühlt zu haben!
    Meine mom liebte Freddy Quinn, und zu Weihnachten war es die Platte von Ivan Rebroff, der seine Weihnachtslieder im tiefsten Bass bedingt. Immer nur zu Weihnachten, immer was ganz besonderes.
    Die Weihnacht auf hoher See hör ich mir an, sobald ich mal Ruhe habe.
    Danke für diese schöne Geschichte!!!
    Gruß von Sabine

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    1. Liebe Sabine, ich danke dir ganz herzlich für deine so emotionalen und wunderbaren Worte. Ja, ich habe in diesem Text einfach nur mein Herz sprechen lassen! Schön, wenn man das fühlen und spüren konnte. Herzliche Grüße.

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  2. Guten Morgen!

    Als ich auf deinen Eingangstext klickte, hatte ich die Hoffnung, dass es sich dabei tatsächlich um meine Kindheitserinnerung handelt, von der du hier erzählst. Und tatsächlich, du meinst die Schallplatte von Freddy Quinn.. Genau jene Schallplatte hatten wir auch und ich konnte schon als Kind gemeinsam mit meiner Mutter und die Wette dazu weinen.
    Und während ich hier schreibe, habe ich mir auf Youtube genau diese "Platte" angestellt und die Tränen fließen...
    Aber auch wie Sabine schreibt, haben wir Weihnachtslieder von Ivan Rebroff gehört. Hach...
    Danke für diese wunderbare Erinnerung, die mich gerade zutiefst berührt!

    Und ja, keine Weihnachtsmusik reicht an jene heran, von der du erzählst.

    Liebe Grüße

    Anne

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    1. Liebe Anne, ich danke dir für deinen so lieben und wunderbaren Worte. Immer wieder schön, von dir zu lesen und ja, diese Schallplatte ist ein Goldschatz, definitiv.

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