Erinnerungen

 




Heute ist Samstag und für meinen Blog steht damit nichts auf dem Themenplan. Einen Artikel gibt es allerdings trotzdem. Warum? Das erfahrt ihr, wenn ihr die folgenden Zeilen von mir lest. Ich hoffe, ihr habt Lust drauf und freut euch daran. Viel Spaß wünsche ich euch.


Heute ist der 20. Januar und heute wäre mein Vater stolze 91 Jahre alt geworden. Leider lebt er nicht mehr. Doch mein Papa war ein toller Mann, auch wenn er oft sehr streng und energisch sein konnte, was aber wohl seinem griechischen Charakter geschuldet war. Jedenfalls würde es ohne ihn diesen Blog nicht geben und auch den Titel des „Ersatzgriechen“ für mich nicht. All das Griechische in mir, habe ich ihm zu verdanken und auch meine Liebe dazu.

Nach Deutschland kam mein Alter Herr im Jahre 1959 und wie ich schon mehrfach hier erwähnt habe, war das eine Zeit in der es keine Internetverbindung, kein Smartphone, kein Skype, ja nicht einmal ein modernes Telefon gab. Das machte ihn für mich schon als Kind zum Helden, denn ich wäre meine Mutter nie freiwillig von der Seite gewichen und schon gar nicht ins Ausland gegangen. Ganz im Gegenteil, wenn ich nicht bei ihr war, hatte ich fast immer ganz furchtbares Heimweh.

Doch zurück zu meinem Vater. Er fühlte sich in Deutschland wohl und heimisch. Meine Mama tat allerdings auch viel dafür und die Medien machten es ebenfalls. Im Radio wurden des Abends Nachrichten auf türkisch, italienisch, spanisch und griechisch vorgelesen. Samstags gab es gar eine kleine Fernsehsendung mit Meldungen aus seiner Heimat und in den Plattenläden standen speziell für das Ausland produzierte griechische Alben, damit er und seine Kollegen auch musikalisch die Verbindung nicht verloren. Wenn mein Vater sonntags Zeit hatte, legte er sie auf und wenn er sich unbeobachtet glaubte, tanzte und sang er so gar dazu.

Mein Vater war durch und durch Grieche und die hohen Werte dieses so wunderbaren Landes machte er auch zu unseren. „Zuerst kommt die Familie“, hieß es bei uns daheim und, „was wir Zuhause machen, geht draußen niemanden etwas an!“. Mein Vater wollte einfach nur seine Ruhe habe. Von der Heimat sprach er nur selten. Allerdings fuhren wir Jahr für Jahr in den Sommerferien dorthin. Es ging von Bremerhaven runter in den Süden, nach Österreich, über Linz und Graz hinein ins ehemalige Jugoslawien und dann, nach über 1.000 Kilometern in diesem so fremden Land endlich auch nach Griechenland. So wie mein Vater dort zum ersten Mal das Wasser sah, fing er an zu weinen. Auch er wusste ein Lied vom Heimweh zu singen.

Ja und Griechenland war wie eine ganz andere Welt für mich. Spätabends, zu Zeiten, da ich daheim längst hätte schlafen müssen, ging das Leben hier erst richtig los. Wir besuchten die unterschiedlichsten Tavernen, aßen das leckerste Essen und alle um uns herum schienen einfach nur glücklich sein. Mehr noch, die Menschen kamen mir vor, als seien sie eine große Familie, sogar die Fremden. Viele streichelten mir über die Haare, was ich überhaupt nicht verstand und auch ziemlich seltsam fand. Aber ich war blond und das Streicheln blonder Haare, so sagen die Griechen, bringt Glück, also nahm ich die netten Zärtlichkeiten einfach an.

Wir wohnten in einem Ferienhaus, etwa 30 Kilometer von Athen entfernt. Von der Straße aus konnten wir das Meer sehen und einen Wecker brauchten wir nicht, denn für unser morgendliches Aufstehen sorgten andere. Es waren Verkäufer, die des Morgens mit ihren Jeeps durch die Gegend fuhren und alles Mögliche an den Mann oder die Frau bringen wollten: Wassermelonen, Tomaten, Gurken, ja sogar Gartenstühle und Tische. Meist waren die Händler äußerst freizügig und offenherzig gekleidet. An jedem ihre Finger hatten sie einen Ring stecken und ihr Oberhemd trugen sie offen, fast immer mit einer Kette und einem Kreuz daran um den Hals. Es waren Zigeuner und alle liebten sie, auch meine Familie. Keiner wäre auf die Idee gekommen, ein anderes Wort für sie nutzen und sie waren nicht nur als fliegende Händler unterwegs. Nein, auch in der Musik waren sie unterwegs, allen voran ein Mann namens Manolis Aggelopoulos der mich bis heute begeistert und dessen Lieder wie von einem anderen Planeten für mich sind, auch wenn er schon Jahre tot ist.

Zurück aber zu meinem Vater. Auch der liebte seine Musik und deckte sich bei jedem Besuch in seiner Heimat mit den neusten Kassetten ein. Seltsamerweise brauchte man die allerdings nicht kaufen, sondern man konnte sie sich direkt im Laden auch kopieren lassen, natürlich nicht umsonst, aber für deutlich weniger Geld. Wenn ich die Bouzouki hörte oder der orientalischen Geige lauschte, ging mir das Herz auf und meiner geliebten Mama jedoch die Ohren zu. Sie konnte dieser Musik so gar nichts abgewinnen. Wer griechische Musik nicht fühlen kann, ist bei und mit ihr verloren, wer sie aber vermag im Herzen zu spüren, der ist wie ich für immer nach ihr süchtig.

Lustig war auch jedes Mal das Spiel mit dem Auto meiner Eltern und unseren Mitbringseln. Kamen wir nach Athen, war unser BMW bis unter das Dach gefüllt mit Geschenken. Meine Oma bekam einen riesigen Vorrat an Tabletten und Salben, die es in Griechenland nicht gab. Meine Tante wurde mit Filterkaffee bedacht und mein Onkel hoffte auf deutsche Zigaretten. Meine Cousine war der Mode und der Technik zugetan. Wenn es auf der Veranda ans Auspacken ging, kam man sich vor, wie an Weihnachten und jedes Mal sagte meine Mama dann am Schluss: „Auf der Rückfahrt haben wir wieder ein leeres Auto“, worauf mein Vater antwortete: „Du weißt doch, was kommt“. Die Hoffnungen auf einen leeren Kofferraum verflogen nämlich spätestens in dem Augenblick, als einen Tag vor unserer Abreise die Familie mit Oliven, Honig, Weinblättern, Feta, Tomaten, Wein und Ouzo zum Gegenschlag bei der Geschenke-Orgie ansetzte. Hinzu kamen eigene Einkäufe und Souvenirs für die lieben Freunde daheim.

Ach, was vermisse ich all das. Ich denke viel an meine Tante, die uns alle so herrlich zum Lachen brachte und sich darüber amüsierte, wenn wir unser Auto fast nicht mehr zubekamen. Und ich sehe meine Oma in der linken Ecke auf der Veranda sitzen. Ich höre meinen Onkel, der nach meiner Mutter ruft und sie BOULAKI MOU (Vögelchen) nennt und ich sehe meinen Papa vor mir, der ebenfalls auf dieser Veranda sitzt und mir leise ins Ohr flüstert: „Weißt du was Giannis, langsam aber sicher kam man abhauen von hier, ich habe die Schnauze voll von den ganzen Leuten und von Griechenland“.

Ich verneige mich vor meiner Mutter, die Jahr für Jahr diese lange Reise auf sich genommen und auf ihren eigenen Urlaub verzichtet hat. Ich verneige mich vor meiner griechischen Familie, die uns mit so viel Liebe begegnet ist und ich sende ein virtuelles Küsschen nach Athen zu meiner Cousine, die einst zu mir sagte, ich sei mehr Grieche als ein Athener. Ganz besonders aber blicke ich zum Himmel, zu meinen Eltern und zu meinem Vater, der heute 91 Jahre alt geworden wäre.

Mama, Papa, ich habe euch lieb und heute Abend geht das erste Glas Ouzo auf euch.

Kommentare

  1. Lieber Giannis,

    wow, was für ein schöner Beitrag, dazu möchte ich jetzt gar nicht zu viel sagen, nur so viel, er hat mich tief berührt.

    Ganz liebe Grüsse
    Alexandra

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